Literatur
Rüschenschmidt, David
Zwischen Kirchturm und Minarett
Der christlich-islamische Dialog seit 1973 Schriftenreihe "Religion und Moderne"
Campus-Verlag, Frankfurt/ New York 2022
45 Euro
David Rüschenschmidt trägt in seiner Untersuchung
„Zwischen Kirchturm und Minarett – Der christlich-muslimische Dialog seit 1973"
ausgerüstet mit der Perspektive des Historikers und dessen spezifischen wissenschaftlichen Werkzeugen, zur „Erhellung der Gegenwartsgeschichte des Verhältnisses von Christen und Muslimen bei und nimmt zu diesem Zweck den Christlich-Islamischen Dialog als Begegnungs- und Kooperationsgeschehen in den Blick".
Rüschenschmidt will nicht nur den christlich-muslimischen „Dialog innerhalb der Initiativen beschreiben, sondern zugleich Verschränkungen und Interdependenzen zwischen dem Dia-log und seinen mannigfaltigen Kontexten in den Blick" nehmen. Deshalb steigt er mit seiner Untersuchung tief in die Wechselwirkungen eines „verdichteten Begegnungs- und Beziehungsgeschehens" der Initiativen ein und will diese „auf der Grundlage einer historisch-kritischen Analyse und Deutung der entsprechenden Quellen" erschließen. Er strebt insgesamt mit seiner Arbeit an, Erkenntnisse über die Voraussetzungen und Wirkungsweisen des christlich-islamischen Dialogs „hervorzubringen, um diese in die größeren Entwicklungen einer Zeitgeschichte der Religionen in Deutschland einzuordnen." Dafür reiste er durch NRW, erschließt in Archiven wichtige Quellen und führt Interviews mit Gründern und Teilnehmern der ersten Gruppen und Einrichtungen. Dadurch erhält er vertiefte Einblicke und kann sie mit Dokumenten, auch aus Privatarchiven belegen.
Rüschenschmidt teilt nach einer historischen Einordnung der Vorläuferinitiativen aus den 70er Jahren seine weiteren Untersuchungen in drei Betrachtungszeiträume ein: die Etablierung des christlich-islamischen Dialogs in den 1980er Jahren, der christlich-islamischen Dialog 1990 bis 2001 und der christlich-islamische Dialog im Schatten des 11. Septembers.
Er zeigt, dass sowohl die lokalen Zivilgesellschaften als auch die Religionsgemeinschaften mit ihren Entwicklungen der letzten fünfzig Jahre die jeweiligen Kontexte in Deutschland prägten. Das Bundesland Nordrhein-Westfalen untersucht David Rüschenschmidt besonders detailliert, weil dort etwa 1,5 Millionen Muslime leben und ein Drittel der Dialoginitiativen angesiedelt sind.
Rüschenschmidt erarbeitet intensiv die Hintergründe in den Dialoginitiativen mit detailreichen Analysen der Beziehungsgeflechte, den prägenden innen- und außenpolitischen und medialen Einflüssen und deutet sie überzeugend aus den erforschten Zusammenhängen. Diese ermittelt er in persönlichen Gesprächen mit Einsichtnahmen in Dokumente aus persönlichen und offiziellen Archiven der Akteurinnen und Akteure sowie mit Literaturstudium. Er verfolgt sein Forschungsvorhaben stringent und dialogisch mit Blick auf seine Fragestellungen, auf Ziele, Methoden und Strukturen. Die vorliegende Arbeit besticht in allen Teilen durch Differenziertheit mit in die Tiefe gehenden und damit äußerst spannenden Ein-blicken in die Begegnungs- und Dialoggeschehen auf lokaler Ebene sowohl für die 80er Jahre als auch für die späteren Zeiträume.
Das ist seinen ausgewählten Methoden zu verdanken, die die vielfältigen und komplizierten Beziehungen der Akteure untereinander analysieren und reflektieren, die wiederum in den eigenen Gemeinschaften, in den Kirchen und in der Gesellschaft Reaktionen hatten, die die Ereignisse bremsten oder beförderten.
Diese Methoden brachten Forschungsergebnisse, die wahrlich „erhellend" sind. Sie sind es sowohl als detailliertes Fazit nach den einzelnen Kapiteln als auch im Gesamtfazit. Die Vergangenheit und Gegenwart der älteren Dialoginitiativen sowie der jüngeren in NRW lernt man durch dieses Buch kennen und erkennt ihre teilweise parallelen Erfahrungen in den vergangenen vier Jahrzehnten mit vielen Widerständen, Verkennungen, falschen Einschätzungen, ja Kampfansagen, die aus dem Inneren der Gemeinden, der Kirchen und der Gesellschaft, auch aus politischen Randgruppen kamen.
Aber es gab auch die Ermutigungen, die aus dem Inneren der christlichen Kirchen, der muslimischen Gemeinden, der Zivilbevölkerung und der Politik kamen. Und beide, die guten und enttäuschenden Erfahrungen machten viele der in jenen Jahren aktiven Akteurinnen und Akteure im Zusammenstehen gegen Widerstände.
Diese Arbeit, angesiedelt zwischen „Kirchturm und Minarett" bringt nicht nur Erkenntnisgewinn, sondern bewirkt Sympathie für die Beteiligten am christlich-islamischen Dialog.
Die Erkenntnisse der Untersuchung machen Mut auch für die Zukunft. David Rüschenschmidt bewertet den Dialog als „Formation des Religiösen", die in Gestalt von lokalen zivilgesellschaftlichen Initiativen zu einem „konstruktiven Umgang mit religiöser und kultureller Vielfalt" in einem „demokratisch verfassten Staats- und Gemeinwesens fähig sind".S.332 Er bezweifelt allerdings, dass der lokale und zivilgesellschaftliche Dialog in den Gruppen und Netzwerken auf andere Organisations-Ebenen, dann verzweckt, übertragen werden kann. Damit zeigt er mögliche Grenzen auf.S.333
Wir haben David Rüschenschmidt für seine spannende, wissenschaftlich fundierte und gleichzeitig historisch konkrete sowie diskursive und analytisch vorbildliche Forschung zur „Geschichte des christlich-islamischen Dialogs" zu danken. Sie bietet darüber hinaus zukünftigen Generationen einen Schatz an „zivilgesellschaftlichen und sozialintegrativen" Handlungsbeispielen „für zukünftige gesellschaftliche Herausforderungen".
Unbedingt lesenswert!
Doris Schulz, im Juli 2022
Die Rezensentin ist als verantwortliche Akteurin seit 1993 bis heute in Solingen im Christlich-Islamischen Dialog tätig und Mitglied im Vorstand der CIG.
Erscheinungsjahr: 2022
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